Besuch des Nationalen Wasserstoffrates im Märkischen Kreis
Zukunftsfähige Wasserstoffinfrastruktur als Chance und Innovations-Booster für den industriellen Mittelstand in der Region. Klare Rahmenbedingungen auch für Investitionen in Verteilnetze zwingend erforderlich.
Eine zentrale Frage der Energiewende führte den Nationalen Wasserstoffrat (NWR) in den Märkischen Kreis. In einer Region, die stark vom industriellen Mittelstand geprägt ist, konnte sich das Expertengremium vor Ort informieren, welche Schritte notwendig sind, um das Potential des Wasserstoffs hier konkret zu heben. Als Rückgrat der deutschen Wirtschaft treibt der industrielle Mittelstand Innovationen voran, schafft Arbeitsplätze und stärkt so die regionale Wertschöpfung, betreibt also Wohlstandssicherung für uns alle. Umso relevanter ist daher der direkte Zugang zu Wasserstoff als nachhaltige Energiequelle, um die Dekarbonisierung konsequent voranzutreiben. Von dem Wasserstoffkernnetz, das mit einer Länge von beinahe 10.000 km bis 2032 quer durch Deutschland aufgebaut werden soll, müssen die Moleküle über Verteilnetze zum Einsatzort, also in die Fläche, transportiert werden. Hierfür können die bestehenden Gasverteilnetze kosteneffizient von fossilen Gasen auf Wasserstoff umgerüstet werden. Gleichzeitig brauchen Unternehmen vor Ort verlässliche und geeignete Rahmenbedingungen für die Transformation ihrer Produktionen. Eine Elektrifizierung von Produktionsprozessen ist bei verschiedenen Unternehmen teilweise technisch oder wirtschaftlich nicht machbar.
Der Besuch auf Initiative der Gesellschaft zur Wirtschafts- und Strukturförderung im Märkischen Kreis diente dazu, die Herausforderungen, vor denen die Industrie steht, zu erörtern und die Bedeutung von Wasserstoff als Zukunftstechnologie zu unterstreichen. Dazu wurden verschiedene Unternehmen besucht−viel Gesprächsstoff also für einen Expertenbesuch vor Ort.
Der NWR unter dem Vorsitz von Katherina Reiche ist ein unabhängiges Beratungsgremium der Bundesregierung, dem 26 Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft angehören. Seine Aufgabe ist es, die Bundesregierung bei der Weiterentwicklung und Umsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie zu beraten. Katherina Reiche, Vorsitzende des NWR: „Der Besuch bei den Unternehmen im Märkischen Kreis) hat unseren Blick auf die nächsten notwendigen Schritte für den Wasserstoffhochlauf noch einmal geschärft. Die Verteilnetze sind entscheidend für die Zurverfügungstellung von klimaneutralem Wasserstoff. Jetzt muss die Politik die nächsten Schritte angehen und zeitnah die weiteren erforderlichen Rahmenbedingungen für den Wasserstoff-Hochlauf entwickeln und festlegen. Wir brauchen dazu zügig Planungssicherheit für Transformation und Investitionen vor Ort. Nur so kann es gelingen, Deutschland als globalen Vorreiter im Bereich Wasserstoff zu etablieren und die Energiewende erfolgreich zu gestalten sowie lokale Wertschöpfung zu sichern.“
Der Märkische Kreis ist ein Zentrum des industriellen Mittelstands in Deutschland. Im Jahr 2021 betrug die Gesamtwertschöpfung des Kreises rund 14,2 Milliarden Euro, davon wurden mehr als 6,9 Milliarden Euro im produzierenden Gewerbe erwirtschaftet. Fast die Hälfte der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten arbeitet in diesem Sektor. Die Bedeutung der Region für die deutsche Industrie ist also enorm – ebenso wie die Herausforderungen, vor denen sie steht. „Deshalb freuen wir uns, dass sich das Gremium persönlich vor Ort bei den mittelständischen Betrieben abseits der großen Ballungsräume informiert „, betonte Jochen Schröder, Geschäftsführer bei der Gesellschaft zur Wirtschafts- und Strukturförderung (GWS) im Märkischen Kreis, die den Besuch mit organisiert hatte.
Unklare Zukunftsszenarien und Innovationsdruck
Drei Industrieunternehmen, die exemplarisch für die gesamte Region stehen, waren Ziel des Besuchs des NWR. Bei der Risse + Wilke Kaltband GmbH & Co. KG in Iserlohn, einem Familienunternehmen in vierter Generation, das für seine hochwertigen Stahlprodukte bekannt ist, berichtete Geschäftsführer und Gesellschafter Jörg Lohölter von explodierenden Energiekosten und einer fehlenden Wasserstoffinfrastruktur, die den Standort Iserlohn unattraktiv machen.
Auch bei der FR. u. H. Lüling GmbH & Co. KG in Altena, einer der größten stahlwerksunabhängigen Drahtziehereien Europas, ist die Lage ebenfalls angespannt. Geschäftsführer Christian von der Crone erklärte, das Unternehmen sei bereit, auf wasserstoffbasierte Verfahren umzustellen. Die technischen Möglichkeiten stünden zur Verfügung, da es aber an allen Standorten an der Versorgungsinfrastruktur fehlt, liegen die Projekte auf Eis. Auch ist Wasserstoff im Vergleich zu Erdgas und Strom, aufgrund der Energiekostenzuschläge, derzeit nicht wirtschaftlich und steht zudem noch nicht „grün“ zur Verfügung. Auch die Umstellung auf Strom ist mit enormen Herausforderungen verbunden, wirkt aber derzeit als der realistischere Ansatz.
Beim Luftfahrt- und Automobilzulieferer Otto Fuchs KG in Meinerzhagen begrüßte Landrat Marco Voge die Mitglieder des Nationalen Wasserstoffrats. Jörn Grotepass, Mitglied der Geschäftsleitung & Leiter der Aerospace Division sowie Arne Wiemer, Leiter Operations Aerospace schilderten im Anschluss die Herausforderungen, vor denen das Unternehmen steht. Die Umstellung der Hochtemperaturprozesse und der Blockheizkraftwerke auf klimaneutrale Energieträger erfordert den Einsatz von Wasserstoff, doch die Unsicherheiten sind enorm: Es fehlt eine verlässliche Versorgungsinfrastruktur, die Kosten sind schwer kalkulierbar, und auch die Auswirkungen auf Fertigungsprozesse und Produkte müssen erforscht werden. Ohne entsprechende Unterstützung seitens der Politik, sowohl in der Bereitstellung der richtigen Infrastruktur als auch durch Subventionen bei der Umstellung auf neue Technologien wird eine entsprechende Transformation nicht funktionieren.
Wasserstoff gilt als Schlüsseltechnologie zur Dekarbonisierung der Industrie und zur Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Doch im Märkischen Kreis, der abseits des geplanten Kernnetzes für Wasserstoff liegt, fehlt es an konkreter Planungssicherheit. Der Besuch des Nationalen Wasserrats im Märkischen Kreis hat deutlich gemacht: Ohne eine gezielte Unterstützung und den Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur in der Fläche könnte eine der zentralen Industrieregionen Deutschlands im globalen Wettbewerb zurückfallen. Die Unternehmen sind bereit, ihren Beitrag zur Dekarbonisierung zu leisten – sie brauchen aber die richtigen Rahmenbedingungen, um dies auch wirtschaftlich umsetzen zu können. Der Appell der Unternehmen und des NWR: Mehr Tempo beim Aufbau einer zukunftsfähigen Wasserstoffwirtschaft und das geht nur „Hand in Hand“ auf Augenhöhe mit der Politik.